MEMOGRAPHIES
Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung
Eleni Papaioannou: Memographies – Kartographie der Erinnerung

Städtische Galerie Schwabach, 15. August 2014
von Barbara Leicht M.A., Kunstmuseum Erlangen


Meine sehr geehrten Damen und Herren – ein außergewöhnliches Feld, mit dem sich Eleni Papaioannou, die Preisträgerin der letztjährigen Ortung beschäftigt. Ihr Projekt „Memographies – Kartographie der Erinnerung“ befasst sich mit den Lebenserzählungen alter Menschen, die in Seniorenheimen die letzten Jahre ihres Lebens verbringen.

Aktuelle gesellschaftspolitische Themen aufzugreifen und künstlerisch zu bearbeiten, steht im Zentrum des Schaffens der gebürtigen Griechin, die in Athen Bildhauerei und in Berlin Kunst im Öffentlichen Raum studierte. Einige von Ihnen werden sich an ihre Installation „Athletics – Masse ist variabel“ in der Turnhalle des Alten Deutschen Gymnasiums  erinnern, in der Papaioannou, ohne auch nur irgendein Zeichen des Goldes zu zeigen, den Hochleistungssport kritisch diskutierte, Turngeräte und Äste zu antropomorphen Zitaten transformierte und die Bodenmarkierungen der Halle zu einer Raumzeichnung erweiterte. Nicht schön im herkömmlichen Sinne und beileibe keine Wohnzimmerkunst, diese raumfüllende Installation, die von Videos begleitet war
.uch in ihrer heutigen Ausstellung arbeitet die Künstlerin im Raum und hat anlässlich ihrer Solo-Präsentation dieses Projekt entwickelt, das als Gesamtkunstwerk mit Zeichnung, Bildhauerei, multimedialer Installation (mit Video- und Audiofiles) sowie einer Ruinenarchitektur aus Kalksandsteinen gesehen werden muss.

Ihre Projekte sind für sie gleichermaßen Sender wie Empfänger – sie sind auf eine Interaktion mit dem Betrachter angewiesen. Papaioannou verwendet ihre Kunstsprache dazu auf die heutige Zeit zu reagieren und setzt Themen aus der Gegenwart anspruchsvoll – künstlerisch wie intellektuell – auf hohem Niveau um. Dabei nutzt sie die unterschiedlichsten Medien und Stoffe.
Ihr Anspruch ist es, nicht nur ein Abbild der Realität zu gestalten, die wir hinlänglich kennen. Sie möchte in Bildzusammenhängen arbeiten, die einen Sinn ergeben, aber nicht von vorne herein komplett ablesbar sind und individuell interpretiert werden können. Der Betrachter kann und soll an der Auslegung der Inhalte partizipieren.

Dafür ermöglicht ihm die Künstlerin genügend Spielraum. Eine didaktische und eindeutige Ausstellung lehnt sie nämlich strikt ab.
In dieser Raumsituation findet sich also neben virtuosen linearen Zeichnungen mit feinnervigen Flächenschraffuren eine Installation aus verschiedensten Materialien, die teilweise motivisch auf diesen Werken aufsetzt. In der Gesamtheit der Präsentation lässt sich das formale Spektrum der Künstlerin sehr gut beobachten und es fällt auf, wie enorm wichtig es ihr ist, mit einer breitbandigen Stofflichkeit zu arbeiten.

Impuls für diese Ausstellung, die sich den verbliebenen Erinnerungen und dem zu Ende gehenden Leben der Menschen in unserem Kulturraum widmet, war eine betagte Verwandte der Künstlerin, deren Haus wie ein kleines Museum eingerichtet war. Akkurat, aber in großer Fülle hatte diese Dame allerlei Dinge um sich versammelt, ein jedes umwoben von ihren Erinnerungen an bestimmte Zeiten, bestimmte Orte und Menschen.
Die Künstlerin beeindruckte dieser Umgang mit den Dingen sehr, hierauf hebt sie in den „Memographies“ ab. Der museale Aspekt ist in ihrem Projekt spürbar und wird von der Künstlerin subtil behandelt – das Museum als Hort der Erinnerungen.
Die Installation selbst zeigt eigentümliche figurative und gegenständliche Hinweise, die zeichenhaft und sehr sparsam verwendet werden.

Durch den demographischen Wandel entsteht eine wachsende Gruppe alter Menschen, von denen viele ihre letzten Jahre in mehr oder weniger gut ausgestatteten Seniorenheimen verbringen. Das Sprichwort „einen alten Baum verpflanzt man nicht“ hat sehr wohl seine Berechtigung, denn nach dem Verlassen des Zuhauses reduziert sich das Umfeld der Senioren oft auf wenige Quadratmeter mit wenigen Dingen. Der Verlust der gewohnten Umgebung und das permanente Zusammensein mit Gleichaltrigen erzeugt vielmals eine psychische Ödnis. Es verbleiben Rückblicke auf ein langes Leben voller Höhen und Tiefen und Einzelschicksalen, oft begleitet von Verlusten in den Jahren des Zweiten Weltkrieges.
Eleni Papaioannou spürte in Interviews mit Damen aus verschiedenen Seniorenheimen deren Lebenswegen nach. Aus den Schlüsselbildern dieser Befragungen entwickelte sie Farbstiftzeichnungen, auf denen florale Motive, technoide Welt, architektonische Zitate und anatomische Anmutungen kartographisch verzeichnet sind und deren Inhalte sich nicht sogleich erschließen: Landkarten der Erinnerung.

Zwei der Zeichnungen, werden zudem durch Aufnahmen unterstützt, aus denen Näheres über die Hintergründe der Motive zu erfahren ist. Virtuos arbeitet Papaioannou mit dem Blattformat, das sie zwar unaufdringlich und leicht bezeichnet, aber mit dichten Inhalten füllt. Es entstehen vielschichtige, eigenständige Gebilde und auch poetische Motive. Jene „Landkarten“ lassen an topografische Pläne oder an museale Inventarblätter denken. Beides sind wichtige Aspekte dieses Projekts. Wir alle leben mit und von unserem Wissen und unseren Erinnerungen. Selbst das Lernen basiert auf dem Langzeitspeicher des Gehirns.

Nach dem Loslassen von den Dingen, die das Leben vermeintlich schöner oder leichter gemacht haben, verbleiben nur mehr Bilder in unseren Köpfen. Das neuronale Netz im Gehirn funktioniert auch nach sehr langer Zeit meist gut und wir können Wichtiges oder Unwichtiges abrufen. Kein Wunder also, dass wir uns wichtiger Momente unseres Lebens besinnen können. Überlegen Sie, welche Situation aus ihren Kindheitstagen Ihnen noch immer klar vor Augen steht. Ich bin mir sicher, dass manche von Ihnen noch viele Details jener Szenen wissen.

Dies macht sich die Künstlerin zunutze: Sie zeichnet und zeigt uns ihre bildnerischen Möglichkeiten, Vernetzungen von Erinnerungen darzustellen. In ihren subtilen Bildstrukturen lagern Geschichten ein, die aus unserer Dingwelt und unserem Wissen schöpfen, jedoch in der Kombination verschiedenster Inhalte Irritationen schaffen und uns zum Denken anregen.
Die Architektur der Installation besteht aus unterschiedlichen Niveaus aus Kalksandsteinen mit freien Räumen; fast wirkt sie wie die riesige Speicherplatte eines Computers, aus immer denselben Clustern bestehend.

Geordnet, aber asymmetrisch, mit Zeichen besetzt oder leer: Papaioannou reizt das Publikum durch die Kombination ihrer Materialien sowie durch die ponderierte Anordnung von Gegenständen in verschlüsselter Bedeutung. Figurative Zitate, Baustelle und Bauklötzchen im Film, echte Pflanzen in lebensspendendem Wasser, tote Äste von Gipsbinden umwickelt. Wachstum und Konstruktion auf der einen, Vergehen und Destruktion auf der anderen Seite.
In der letzten Phase eines Lebens wird der Blick in die knapp bemessene Zukunft überschaubar. Die vielen Jahre des gelebten Lebens ermöglichen Menschen in der ihnen verbleibenden Frist, wenn auch lückenhaft, Erinnerungen an die Vergangenheit herzuholen. Die Klammer über all jenem ist die Zeit.

Die Künstlerin arbeitet in Metaphern und Schlüsselbildern. Sie bedient sich unter anderem archäologischer oder topografischer Zitate, was nicht zuletzt ein wenig der Geschichte ihres Heimatlandes geschuldet ist. Kombiniert mit den Substraten aus den Interviews entstehen rätselhafte An- und Aufbauten mit Netzen, einem Hochsitz artigen Turm, einem gestelzten Bergmodell und Stahlspitzen. Man mag an eine bildhafte Auslegung der Architektur eines Gehirns denken.
Die Ikonografie des Gesamtwerks ist ungewöhnlich und im traditionellen Sinne nur bedingt verständlich.
Durch Umdeutung der Materialien, deren Chiffrierung und ihre Arbeit mit Metaphern gestaltet die Künstlerin ein eigenes und eigenwilliges Vokabular, das den Betrachter wegen seiner Intensität ohne Zweifel fordert.
Vergangenheit und Gegenwart, Ruinen und Baustellen, immanentes Wissen – Zeit lässt Leben entstehen und vergehen, beeinflussbar nur durch wenige Parameter.
Diese Komplexität künstlerisch auszudrücken ist Kern dieses interessanten Projektes von Eleni Papaioannou.

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© Eleni Papaioannou, 2013