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Giessener Allgemeine, 2.2.2004

(Kunst-) Räume, die man nicht mehr verlassen will
Die Studenten der Kunstpädagogik blicken auf ihr erfolgreiches erstes kunstfestival am Wochendende zurück

Petrus hatte beinahe bis zum Schluss mitgespielt. Erst am späten Sonntagvormittag schickte er Regentropfen. Zu diesem Zeitpunkt war das erste Kunstfestival seiner Art der Gießener Kunstpädagogik - Studenten mit dem oft hinterfragten Titel "Projektionsflächen - Verlassen sie den Raum?!"fast an seinem Ende angelangt. Ein Wochende geballter Ladung Kunst aller Art hatten Veranstalter, Besucher und Aussteller gleichermaßen in der Lahnstadt in Gang gesetzt. Kreuz und quer ging es durch die Stadt: zum einstigen Bunker an der Grünberger Straße, zum Möbelhaus in Heuchelheim und in den Keller der ehemaligen Brauerei im Unteren Hardthof.
Hinter der Tür im zweiten Stock des Instituts für Kunstpädagogik kann man einen Stecknadelkopf fallen hören. Absolute Ruhe und gleichzeitig Konzentration beherrschen den Raum zwischen gestapelten Stühlen und Wandtafeln. Milena Müller bietet einen Pantomime - Workshop im rahmen des Festivals an: Drei Stunden, in denen nur Mimik und Körpersprache den Ort füllen sollen. "Als ich den Titel des Wochenendes gesehen habe, dachte ich, pantomime passt da genau hinein", sagte Müller, "denn damit schafftman permanent Räume". Silke und Birgit, beide 25 Jahre und Kunstpädagogikstudentinnen, stimmen zu. Sie haben für das Festivalwochenende den Weg von Dresden nach Gießen gefunden.
Beim Aktzeichnen zwei Etagen tiefer kommen die Gäste aus viel weiter entfernten Gefilden: Die 21 - jährige Kristine ist aus Georgien zu Besuch bei ihrer Schwester Magda, die in Frankfurt Medizin studiert. "Ich habe seit einem Monat nicht mehr gezeichnet", meint Kristine mit einem Seufzer und dreht den Bleistift in der Hand, "es hat mir so gefehlt". Sie studiert in ihrer Heimat Malerei und ist an diesem Tag eine von acht Teilnehmern beim Zeichenangebot der Darmstädter Dozentin Gudrun Cornford.
Derweil in der Liebigschen Lehrstätte zum ´zigsten Mal der Radiergummi über das A - 3 - Blatt flitzt, führt der Gießener Künstler Volker Bunte einen älteren Gast durch seine Fotogalerie in den früheren Umkleideräumender Firma Heyligenstaedt. Dort wo einst die Spinde von hunderten Werkzeugmachern standen, bedeckt Schmutz den Boden. Bunte hat seine Digitalfotografien an den Wänden aufgereiht: 200 Blicke in die Umkleidekabinen des Schwimmbads Ringallee mit dem Titel "Junge / Mädchen". Es sind Ausschnitte, doch in der Menge ergeben sie ein interessantes Bild. Im Keller: 30 runde Waschbecken, die um Pfeiler angebracht sind. An einigen schimmert noch häßliches Türkis. Lichteffekte der Projektoren beeindrucken - ein Raum, den man gar nicht mehr verlassen möchte.
Verena Weckwerth und Eleni Papaioannou ziehen die Mäntel etwas enger. Die Kälte kriecht in alle fünf Bunkeretagen und Körperteile. Die beiden jungen Frauen aus Berlin haben sich den Air Raid Shelt Bunker West auf dem ehemaligen als Aktionsflächen ausgewählt. Sicherheit und Gefahr, Schutz und Aggression - oft stehe alles ganz nah beieinander oder gar im Widerspruch, meint Papaioannou. Auf ihren Fotos sind Alltagsgegenstände und Kinderschwimmärmel zu sehen. Erst auf den zweiten Blick sieht der Betrachter den Gefahrenhinweis. "Ich fand das echt absurd und habe deswegen diesen Dingen ausgewählt" sagt die Griechin. Kollegin Weckwerth erzählt zwei Stockwerke darüber ihren Gästen die Geschichte von den untergehenden Bunkern an der französischen Küste. Diese hat sie jahrelang beobachtet und fotografiert. "Wir befinden uns in einem Bunker, da haben diese Dias genau gepasst", so die Berlinerin.
Es ist mittlerweile dunkel geworden. In der Wetterwarte der Volkshochschule muss der Besucher das Licht anknipsen, um die Fotografien mit der Camera Obscura des holländischen Künstlers Ype Limburg besser sehen zu können: Landschaften wie Röntgenbilder.
Mitorganisator Daniel Usbeck lehnt sich am Aamstagabend entspannt zurück und lächelt zufrieden, als auch die abstruse Performance im Unteren Hardthof Geschichte ist: "Es war geil, hat alles geklappt und alle Ausstellungsorte waren gut besucht". Es waren rund 200 Menschen, die am Wochenende nach Gießen gefunden haben. Rieze gab es genug: Vorträge, malereien, Videos, Hörspiele, Filme und alles in Räumen, die verlassen werden konnten, wann immer der Gast wollte. Jana Schulze
P.S. Angesichts der Fülle des Geschehens konnten nicht alle Künstler und Kunstweke benannt werden.

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